Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet. (Mt 5,44-45)
Die Feinde lieben: Das ist ein hoher Anspruch. Ist das nicht weltfremd angesichts von Kriegshandlungen? Wie soll man Feinde lieben, die brutal und menschenverachtend handeln? Und dann die Verheißung, dass wir mit dem Gebet für die Verfolger Kinder Gottes werden?
Gedanken von Jörg Zink haben mir geholfen, diese provozierenden Worte Jesu besser zu verstehen. Die Liebe zum Feind bedeutet, sich in ihn hineinzuversetzen. Er ist nie nur böse. Er ist ein Täter, der Unrecht begeht, aber auch ein Mensch. Dieses Menschsein, trotz aller Feindschaft, verbindet uns. Wenn ich das Bild von diesem Menschen nur auf das des Täters beschränke, besteht keine Möglichkeit auf Versöhnung.
Die Feinde lieben bedeutet also zuzugestehen, dass sie Menschen sind voller Fehler, Vorurteile und Ängste, fehlgeleitet durch Machtinteressen und oft irregeleitet durch Ideologien und Fake News. Das bedeutet nicht, ihre Grausamkeiten wehrlos zu erdulden und die Verfolgten ihrem Schicksal zu überlassen. Ihnen müssen wir beistehen.
Aber eine nur gewaltsame Antwort verführt dazu, ähnlich zu handeln wie die Gegner selbst. Den Feind lieben heißt, zu trennen zwischen dem Unrecht, das er begeht und dem Menschen, der es begeht. Es gilt, Gewalt einzudämmen und zugleich zu versuchen, den Feind sogar zum Freund zu gewinnen, weil Menschen sich ändern können.
Deshalb die Bitte Jesu, auch für die Feinde zu beten, damit sichtbar wird, dass wir alle Kinder unseres Vaters im Himmel sind und Frieden möglich wird.
Gerda Eschmann
Pastorin, Seelsorgerin Seniorenzentrum Martha-Maria Lichtenstein-Honau