Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens. (Hiob 9,8-9)
Ehrfurcht. Angesichts der Schönheit, vor allem des nächtlichen Himmels, begegnet hier eine staunende Ehrfurcht. Wenn wir schon im Süden oder im winterlichen Norden unterwegs waren und den Nachthimmel beobachten konnten, dann fällt es uns leicht, in dieses Staunen einzustimmen.
Die Ehrfurcht gilt hier aber nicht dem Schauspiel der Schöpfung, sondern dem Schöpfer selbst. Es ist eine Gottes-Ehrfurcht, für die Worte gesucht und gefunden werden. Und als Christen werden wir auch hier einstimmen können.
Und doch: Diese Verse entstammen nicht einem Schöpfungshymnus, der über die Erhabenheit der Natur oder Gottes singt. Sie tragen einen Schatten mit sich. Hiob spricht hier zu seinem Freund Bildad, der ihn anhand der Souveränität Gottes überzeugen will, dass er Schuld an seinem schweren Schicksal haben müsse.
Hiob bestätigt zunächst die Erkenntnis von der Schöpfermacht, ja der Handlungssouveränität Gottes. Hier hinein gehören auch die ehrfürchtigen Worte über Meer und Himmel. Dann aber kippt die Rede und geht in eine Anklage Gottes über, an deren Ende Hiob darauf besteht, dass er unschuldig ist.
Gut, dass der Bibeltext in seiner Gesamtheit so ehrlich ist. Er trifft auf Erfahrungen, die wir immer noch machen: Alles Schöpfungslob, das uns Ehrfurcht abnötigt, ist von einem Riss des Leidens und der Gewalt durchzogen. So leben und glauben wir zwischen Ehrfurcht und Bedrückung, zwischen Lob und Klage. Es ist uns ausdrücklich erlaubt. Dafür ist nicht nur Hiob ein Zeuge.
Reiner Kanzleiter
Pastor, Seelsorger Krankenhaus und Seniorenzentrum Martha-Maria München