Der Münchener Chefarzt Prof. Dr. Markus Suckfüll und sein Team der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde setzen sich für den nachhaltigen Einsatz von ausgedienten Cochlea-Implantaten ein. Vom Krankenhaus Martha-Maria München aus helfen sie Kindern in Usbekistan.
Der verborgene Schatz
„Unsere Kiste ist noch gut gefüllt, wir sind bereit für neue Anfragen“, sagt Prof. Dr. Markus Suckfüll mit einer transparenten Kunststoffbox in den Händen. Sie ist voll mit Prozessoren unterschiedlicher Cochlea-Implantate (siehe Infokasten). Sie alle funktionieren noch, wurden aber ausgemustert. Mit manchen kamen ihre vorherigen Träger nicht zurecht, andere mussten repariert werden und sind seitdem übrig.
Cochlea-Implantate gibt es seit den 1980er Jahren. Die Hörgeräte bestehen aus zwei Komponenten. Als künstliches Innenohr ersetzt das Implantat die kaputte Hörschnecke (lat. „cochlea“) und schickt wieder Signale über den Hörnerv an das Gehirn. Angesteuert und konfiguriert wird das Implantat induktiv über den sogenannten Prozessor. Er befindet sich außen am Kopf der Patienten und schickt auch die akustischen Signale zum Implantat. Nach der Operation müssen die Patienten das Hören wieder neu erlernen und bekommen eine aufwendige Nachsorge an der Klinik durch Logopäden, Techniker und Ärzte. Patienten werden meist ein Leben lang betreut, aktuell sind es beim Team der HNO-Klinik am Krankenhaus Martha-Maria München Patienten mit rund 1.000 Cochlea-Implantaten.
In München gibt es keine Verwendung mehr für die Geräte. „Trotzdem wollten wir sie nicht entsorgen, schließlich funktionieren sie noch. Irgendwie wussten wir, dass wir sie eines Tages noch brauchen können“, sagt der Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Krankenhaus Martha-Maria München mit Blick in die Kiste.
In Deutschland haben sie ausgedient, in Usbekistan werden sie dringend benötigt: Prozessoren von Cochlea-Implantaten.
Das Gehör ist der Schlüssel zum Sprechen
Suckfüll implantiert bis zu 80 Cochlea-Implantate jährlich, meist bei Menschen, die im Laufe ihres Lebens das Gehör verloren haben. Für den erfahrenen Arzt ist das Hören der wichtigste Sinn des Menschen, vor allem in Bezug auf zwischenmenschliche Kontakte:
„Ein großer Teil unserer Kommunikation erfolgt über das Sprechen und Hören. Wenn einem Menschen das genommen wird, ist das fatal. Umso toller ist es, ihm diese Fähigkeit zurückgegeben zu können.“
Noch wichtiger für die Kommunikation ist das Gehör für Kleinkinder. Die Phase des Spracherwerbs dauert nur bis zum sechsten Lebensjahr. Ist ein Kind bis dahin taub, wird es auch für immer stumm bleiben.
„Selbst wenn das Kind später als Jugendlicher oder Erwachsener ein Cochlea-Implantat bekommt und hören kann, wird er oder sie nicht mehr lernen zu sprechen und bleibt stumm“, erklärt Suckfüll.
Viele, auch ärmere Länder, haben dieses Problem erkannt und finanzieren taub geborenen Kindern im Kleinkindalter das Einsetzen eines Cochlea-Implantats. Sie bewahren so tausende Menschen vor einem Leben als Taubstumme.
Verlust des Prozessors ist fatal
Vergangenes Jahr behandelte der Münchener Chefarzt einen Patienten aus Usbekistan. Nach dessen Rückkehr in seine Heimat kontaktierte einer der Begleiter des Patienten die HNO-Klinik. Der Mann berichtete von einem fünfjährigen Jungen, der seinen Prozessor verloren hatte. Gerade bei Kindern passiert es öfter, dass der Prozessor beim Spielen herunterfällt und kaputt oder verloren geht. Ersatz ist, wie zum Beispiel in Usbekistan, dann oft nicht verfügbar.
Die Konsequenzen sind verheerend, wie Suckfüll berichtet: „Diese Kinder konnten hören und ein weitgehend normales Leben führen. Ihnen das Hören wieder zu nehmen, weil der Prozessor des Cochlea-Implantats verloren gegangen ist, das ist eine Katastrophe.“ Der Junge drohte, vom einen auf den anderen Moment wieder taub zu bleiben – inmitten der Phase seines Spracherwerbs.
Die Entdeckung des Schatzes
Das war der Moment der transparenten Kiste. „Es hatte sich gelohnt, die ausgemusterten Prozessoren aufzubewahren“, sagt Suckfüll. Nach einem Blick in die Kiste war klar: Es gibt einen passenden Prozessor für den Jungen. „Das war natürlich ein schöner Moment für unser gesamtes Team, gute Nachrichten nach Usbekistan übermitteln zu können! Bei uns sind die Prozessoren eigentlich nichts mehr wert, dort sind sie dagegen unglaublich wertvoll.“
So konnte dem Jungen geholfen werden und er kam dank der Münchener Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde zu einem passenden Ersatzprozessor. Aus der einmaligen Sache wuchs binnen kurzer Zeit eine unbürokratische, erfolgreiche Zusammenarbeit: Fünf weitere Anfragen nach Prozessoren haben die Münchner aus Usbekistan bekommen – und fünfmal konnten sie helfen.
Vom Pilotprojekt zur regelmäßigen Hilfe
Innerhalb eines halben Jahres konnten so sechs Kinder mit Ersatz-Prozessoren für ihre Cochlea-Implantate ausgestattet werden. „Es ist schon toll zu wissen, dass wir mit so kleinem Aufwand das Leben der Kinder so verbessern können“, sagt Suckfüll. „Es profitieren die Familien und das gesamte Umfeld der Kinder, weil sie wieder ohne Einschränkungen hören, sprechen und so am Alltagsleben teilnehmen können.“
Die transparente Kiste ist weiter griffbereit und wartet auf ihren Einsatz: „Wir haben viele verschiedene Modelle auf Lager und freuen uns schon auf das nächste Kind, dem wir das Gehör und damit unbezahlbare Lebensqualität schenken können.“